Informationen, Messwerte zur Strahlenbelastung von Rothirschen durch Cäsium 137

Informationen zur radioaktiven Belastung von RothirschenTeilweise ist in Pflanzen und Tieren aus Waldgebieten noch erhöhte künstliche Radioaktivität zu messen. Dabei handelt es sich um Cäsium 137, dass noch immer aus dem Tschernobyl Unfall vorhanden ist. Besonders betroffen sind Wildschweine, deren Verkehrsfähigkeit in etliche Gebieten Süddeutschlands nach wie vor ermittelt werden muss. Die radioaktive Belastung von Rothirschen liegt dagegen schon seit Jahren in nahezu allen Lebensräumen in Deutschland unter dem 600 Becquerel Grenzwert für Cäsium 137. Das war nicht immer so.

Erhöhte Radioaktivität bei Rotwild 1986

Unmittelbar nach dem Eintrag von Radionukliden durch den Tschernobyl Fallout, wurde auch bei Rothirschen erhöhte Radiocäsium Aktivität gemessen:
Durch den Fallout waren freiwachsende Pflanzen, besonders auf ihren Oberflächen mit Radiocäsium kontaminiert. Rotwild und andere herbivore Wildtiere wie Rehe, die zu dieser Zeit auf das erste Grün als Nahrung angewiesen waren, nahmen somit auch vermehrt Radiocäsium auf. Da ihr Stoffwechsel Cäsium schnell umsetzt und im Fleisch anreichert, wurden sofort erhöhte Cs-137 Belastungen festgestellt: in Bayern wurden die Radionuklide mit Regenschauern i.w. am 30.4. und 1.5.1986 deponiert. Bereits am 29. Mai 1986 wurden bei einem in Hannoversch Münden (Niedersachsen) erlegten Rothirsch 273 Becquerel Cäsium 137 pro kg ermittelt. Ein am 23.06.1986 in Dingolfing (Bayern) erlegter Rothirsch hatte 950 Becquerel Cäsium 137 pro kg Muskelfleisch.

In der Tabelle 1 ist die spezifische Cs-137 Aktivität im Fleisch von Rothirschen aus der Bundesrepublik von Mai 1986 – Januar 1987 (Angaben in Bq/kg). Damals konnte neben dem Cäsium 137 auch noch das Cäsium 134 nachgewiesen werden. Inzwischen ist das Radionuklid wegen seiner Halbwertszeit von 2 Jahren zerfallen und nicht mehr nachweisbar.

Kurzübersicht

Die radioaktive Strahlenbelastung mit Cäsium 137 ist bei Rotwild deutlich geringer als die bei Wildschweinen und Rehen. Strahlenbelastungen über 600 Bq/kg wurden in Deutschland in den letzten Jahren nicht mehr gemessen.

Die effektive Halbwertszeit von Cäsium 137 in Rothirschen beträgt 4,6 Jahre.

Rothirsch Cäsium Messwerte – Entwicklung, Trends

Eigene Untersuchungen 1986. Wir haben am ehemaligen Institut für Wildbiologie (Universität Göttingen) unmittelbar nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl das Fleisch von Wildtieren auf Radioaktivität untersucht. Die Messergebnisse von Rothirschen sind in der  Tabelle 1 angegeben.

Tab. 1: Cäsium 134 und Cäsium 137 Aktivität in Rothirschen, deutschlandweit 1986

Cs-137 [Bq/kg]
Tierart n Mittelwert Median Min. Max.
Rothirsch 24 280 120 2 2.600

Die Daten im Detail

Erlegungsdatum Probenherkunft Postleitzahl Cs-134 [Bq/kg] Cs-137 [Bq/kg]
29.05.1986 Hann. Münden 3510 125 237
10.06.1986 Oderhaus 3424 124 279
23.06.1986 Dingolfing 8312 528 950
01.07.1986 Reinhardshagen 3512 50 107
04.07.1986 Reinhardshagen 3512 35 76
06.07.1986 Reinhardshagen 3512 73 148
07.07.1986 Bad Soden-Allendorf 3437 59 173
03.08.1986 Reinhardshagen 3512 39 88
23.08.1986 Uelzen 3110 46 120
06.09.1986 Sieber 3420 52 116
06.09.1986 Quirnbach 6799 222 462
18.11.1986 FoA Reinhardswald 3512 9 26
18.11.1986 FoA Reinhardswald 3512 25 62
18.11.1986 FoA Reinhardswald 3512 4 15
19.11.1986 Emsbüren 4448 211 467
13.12.1986 Hess. Lichtenau 3400 5 17
13.12.1986 Warburg 3417 32 96

Bei Messungen 1990 wurden bei einigen Proben Rotwild aus dem Bayerischen Wald noch Cs 137 Aktivitäten über tausend Becquerel festgestellt (Tabelle 2).

Tab. 2: Radiocäsium Aktivitäten von Rotwild aus dem Bayerischen Wald, 1990

Erlegungsdatum Cs-134 [Bq/kg] Cs-137 [Bq/kg]
25.06.1990 199 1.341
25.06.1990 215 1.382
06.06.1990 143 1.040
02.08.1990 80 533
03.08.1990 139 1.010
09.08.1990 141 966
30.08.1990 49 333
10.09.1990 65 502
22.10.1990 193 1.408
06.11.1990 101 711
05.11.1990 118 978

Messwerte 2020

Nach unseren Recherchen ist in 2020 selbst in den besonders durch den Tschernobyl-Fallout kontaminierten Gebieten in Süddeutschland die Strahlenbelastung von Rotwild gering: Der weitaus überwiegende Teil der gemessenen Fleischproben hat Cäsium 137 Aktivitäten zwischen 0 und 100 Bq/kg (Quelle: Daten der offiziellen Wildmessstellen). Werte über 200 Bq/kg Fleisch wurden in den letzten 3 Jahren nicht gemessen.
Das Bayerisches Landesamt für Umwelt hat in seiner Datenbank für Rotwild für den Zeitraum 04.12.2017 – 04.12.2020 einen Messwert: Ein am 08.01.2020 im Berchtesgadener Land erlegter Rothirsch wies eine Cäsium 137 Aktivität von 0,59 Bq/kg im Muskelfleisch auf (Quelle).

Forschung

In mehreren Forschungsvorhaben wurde die radioaktive Kontamination von Rothirschen in einem besonders durch den Tschernobyl-Fallout betroffenen Gebiet langfristig untersucht. In der Abbildung 1 ist der Zeitverlauf der Cs-137 Aktivität in Rothirschen aus dem Untersuchungsgebiet Bodenmais und einem angrenzenden Jagdrevier in Zwiesel, aus dem auch die Wildschweinproben stammten, dargestellt. Das ehemalige Staatliche Forstamt Bodenmais war zum Zeitpunkt der Untersuchungent rotwildfreies Gebiet, das heißt, Rothirsche wurdenn nicht geduldet, wenn Tiere zuwandern, mussten sie abgeschossen werden. Entsprechend gering ist das Probenaufkommen für Untersuchungen. Die Abnahme der Cäsium 137 Kontamination ist deutlich zu sehen.

Entwicklung der Cäsium 137 Kontamination von Rothirschen

Abb. 1: Entwicklung der Cäsium 137 Aktivität von Rothirschen. Messwerte mit Regressionsgerade. Untersuchungsgebiet Bayerischer Wald, 1986 bis 2004 (n=205). Quelle: Fielitz 2005

Der Rückgang der Strahlenbelastung ist bei Rothirschen deutlicher ausgeprägt als bei Rehen. Der Grund dafür liegt wesentlich in der Cäsium 137 Aktivität der Nahrungsbestandteile. Aber auch die unterschiedliche Körpermasse spielt eine Rolle: der Transfer von Cäsium aus der Nahrung in das Fleisch ist beim Rothirsch aufgrund der höheren Körpermasse geringer als beim Reh.

In den letzten Jahren hat es keine weiteren Forschungen zum Thema Entwicklung der Radioaktivität von Rothirschen gegeben. Auch offizielle Messwerte sind spärlich. Eine Umweltanalyse zu diesem Thema steht aus.

Radiökologische Modellierung von Cs-137 (Radiocesium) in Rothirschen

In einem Forschungsvorhaben für das Bundesumweltministerium haben wir von 2001 bis 2004 die Cäsium 137 Kontamination von Rotwild mit einem radiologischen Modell beschrieben und eine Prognose für den weiteren Kontaminationsverlauf prognostiziert (Fielitz 2005).

Radioökologische Modellierung von 137Cs in Rothirschen

Für die Berechnung der 137Cs Aktivität von Rothirschen wurde das Bodenmodell mit drei Kompartimenten verwendet. Für Farne, Heidelbeere, Brombeere und Pilze wurden die Migrations-, Fixierungs- und Desorptionsraten verwendet, die bereits bei der Berechnung der 137Cs Aktivität von Rehen zum Einsatz kamen (Tabelle 3).

Tab. 3: Messwerte und mit dem Modell berechnete 137Cs Aktivität für Nahrungsbestand-teile von Rothirschen, Untersuchungsgebiet Bayerischer Wald, 2002-2004

Nahrungs- bestandteil Transferfaktor
Boden-Nahrung
Mittlerer 137Cs Modellwert

[Bq*kg-1] FS

Mittlere gemessene 137Cs Aktivität

[Bq*kg-1] FS

Gräser 2,0 130,9 130,8
Früchte 0,59 38,6 39,2
Farne 9,3 151,4 151,0
Weidenröschen 0,062 4,1 4,0
Heidelbeere 2,5 448,2 439,0
Brombeere 0,42 94,8 95,0
Sonstige Kräuter 0,89 58,2 58,3
Pilze 10,6 1763 1731
Fütterung 2,0 2,0
Sonstiges 222,5 225,0

In der Abbildung 2 sind die im Modell verwendeten Transferfaktoren und die 137Cs Aktivität der Nahrungsbestandteile angegeben. Die Modellwerte ergeben sich durch Anpassung an die Messwerte.

für das Rothirsch-Modell verwendete Transferfaktoren der Na<hrungsbestandteile

Abb. 2: Bei der Modellierung der Cs-137 Kontamination von Rothirschen verwendeten Transferfaktoren und Raten der Migration, Fixierung und Desorption

Für alle übrigen Nahrungsbestandteile wurde das Bodenmodell ohne Migrations-, Fixierungs- und Desorptionsraten verwendet. Die Migrationsrate aus der Bodenschicht wurde durch Anpassung zu 0,18 a-1 bestimmt. Die Modellrechnungen erfolgten mit einer Bodentiefe von L = 14 cm und einer mittleren Bodendichte von 0,182 g*cm-3. Der Transferfaktor für 137Cs Nahrung-Fleisch wurde mit 0,068 d*kg -1 angepasst, für die biologische Halbwertszeit wurde ein Wert von 30 d verwendet. Als 137Cs Aktivität der Nahrungspflanzen wurde mit dem geometrischen Mittelwert einer Nahrungsgruppe gerechnet. Dieser setzt sich aus den 137Cs Aktivitäten der einzelnen Arten zusammen, die entsprechend den Ergebnissen der Mageninhaltsanalysen gewichtet und der Bodenkontamination ihrer Herkunft nach auf die Aktivität im Untersuchungsgebiet normiert wurden. Die Anteile an der Nahrung wurden entsprechend den Ergebnissen der Mageninhaltsanalysen  berücksichtigt.

Die gesamte, täglich aufgenommene Nahrungsmenge beträgt 10 kg*d-1 und wurde mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung (Normalverteilung) gewichtet, deren Standardabweichung 1,5 kg*d-1 beträgt. Somit liegen 95% der Werte für die Nahrungsaufnahme zwischen 7 und 13 kg*d-1. In der Abbildung 3 ist die Modellprognose mit den Messdaten dargestellt. Da die untersuchten Mageninhalte fast ausschließlich aus den Monaten Oktober bis Januar stammten, war eine saisonale Modellierung der 137Cs Kontamination nicht möglich. Die Modelldaten beschreiben aber den langfristigen137Cs Verlauf gut: 1988 betrug der Median der Messwerte 1.906 Bq*kg -1, der Modellwert lag bei 1.519 Bq*kg -1, 2004 waren es 97 Bq*kg -1 und 90 Bq*kg -1. Prognostisch werden Rothirsche in den nächsten Jahren nur noch vereinzelt über 600 Bq 137Cs*kg -1 aufweisen.

Prognosemodell für die Cäsium Aktivität von Rothirschen bis 2027

Abb. 3: Prognosemodell für die Cäsium 137 Kontamination von Rotwild

Da das Untersuchungsgebiet zu den durch den Tschernobyl-Fallout am stärksten betroffenen Gebieten in Deutschland gehört, kann davon ausgegangen werden, dass in 5 bis 10 Jahren bundesweit Rotwild nicht mehr auf Radioaktivität untersucht werden muss. Aus gesetzlicher Sicht („600 Becquerel Grenzwert“) stellt die Kontamination von Rotwildfleisch für den menschlichen Verzehr bereits heute, auch in den hochkontaminierten Gebieten des Bayerischen Waldes, weitestgehend kein Problem mehr dar.

Literatur

Fielitz, U. 2005: Untersuchungen zum Verhalten von Radiocäsium in Wildschweinen und anderen Biomedien des Waldes. Schriftenreihe Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. BMU – 2005-675. Link

Jandl J., Novosad J., Francová J., 1989: Removal of cesium from deer meat. Vet Med (Praha), 34(8):485-90. Infos